INTERVIEW I RHYTHMUS IN DER DNA

DANNY ELFMAN IM GESPRÄCH MIT FERNANDO CARMENA

Von außen sieht Danny Elfmans Studio in L.A. wie ein weiteres anonymes und schlichtes Gebäude in West Hollywood aus. Wenn man die Schwelle überschreitet, wird man von einem Sammelsurium antiker Puppen, bizarrer Spielzeuge und Tim-Burton-Originale empfangen, die den Namen des kreativen Refugiums des Komponisten rechtfertigen: Studio Della Morte. Ein riesiger Raum voller Perkussion-Instrumente aus der ganzen Welt bestätigt, dass diese Wunderkammer einfach eine Erweiterung von Elfmans musikalischer Persönlichkeit ist. Hier sprach der Komponist über sein fluides musikalisches Vokabular, seine Tätowierungen und sein für Colin Currie geschriebenes Schlagzeugkonzert.

DANNY ELFMAN in seinem Studio in Los Angeles.

Seit den frühen Filmmusiken wie Pee Wee‘s Big Adventure und sogar in einigen Ihrer Oingo-Boingo-Songs aus den 80er-Jahren ist die Bedeutung des Schlagzeugs in Ihrem musikalischen Schaffen offensichtlich. Wie hat Ihre Leidenschaft für das Schlagzeug begonnen?

Nun, ich sammle Schlaginstrumente, seit ich mit 18 Jahren nach Westafrika gereist bin. Dort begann ich Baliphon zu spielen, die westafrikanische Version der Marimba. Ich brachte Instrumente mit nach Hause und begann, selbst Perkussions- instrumente zu bauen. Es gab also einen frühen Abschnitt meines Lebens, in dem ich dachte, ich würde als Instrumentenbauer oder ethnischer Perkussionist enden.

Wie hat sich dieser Hintergrund auf Ihre Zusammenarbeit mit Colin Currie ausgewirkt?

Im Vergleich zu den Violin- oder Cellokonzerten fühlte ich mich mit dem Schlagzeug etwas wohler, wenn es darum ging, das, was ich schreibe, spielbar zu machen. Und ich habe versucht, Colin schon sehr früh in die Konzeption einzubeziehen. Ich habe ihm Stücke geschickt, lange bevor sie fertig waren, nur um seinen Input zu bekommen. Ich habe ihm gesagt: „Hör mal, du musst mir sagen, wenn diese Passage zu anstrengend ist, denn sie geht einfach immer weiter und weiter.“ Colin hat sich wirklich dafür eingesetzt, dass ich nichts abschwäche. Und: Es macht mir Spaß, den Musiker herauszufordern!

Wie sah Ihr kompositorischer Prozess aus?

Zuerst hatte ich die Idee der Triangel. Ich nenne es die „Triangelposition“: ein Hauptschlagzeuger in der ersten Reihe, der von antiphonalem Schlagzeug unterstützt wird. Dann beginne ich, wie immer, viele Ideen durchzugehen. Normalerweise starte ich mit einem Dutzend Kompositionen und fange dann an, sie einzugrenzen. Die meisten davon sind vielleicht anderthalb oder zwei Minuten lang. Dann mache ich weiter und weiter, und plötzlich ist eine davon drei oder vier Minuten lang. Ich denke mir: Na gut, das entwickelt sich! Andere tun das nicht. Und so reduziert es sich von einem Dutzend zu einem halben Dutzend und dann schließlich zu vier Kompositionen.

Vier ist eigentlich die Anzahl der Sätze aller Ihrer drei bisherigen Konzerte. Ist das eine bewusste Festlegung?

Ja, ich komme von dieser Struktur nicht los, ich bin ein bisschen zwanghaft (lacht). Ich mag es irgendwie, die Dinge in bestimmte Arten von seltsamer Symmetrie zu zwingen. Man kann einen ersten Satz so beginnen, dass er für das Publikum nicht befremdend wirkt. Beim zweiten Satz kann man so verrückt werden, wie man will, und einfach Tempo machen. Im dritten Satz können Sie das Tempo drosseln, es wirklich kontrollieren und „meditativer“ werden. Und dann eröffnen Sie den vierten Satz und… los geht’s!

Der zweite Satz basiert auf Dmitri Schostakowitschs Initialen, DSCH. Warum diese Referenz?

Weil ich von Schostakowitsch besessen bin. Ich weiß nicht, ob und wie viele Filmkomponisten seine Initialen auf ihren Körper tätowiert haben… bei mir ist es so (lacht)! Diese vier Noten, DSCH, sind so sehr Teil meiner DNA. Man muss nur in jeder meiner Kompositionen nachsehen, dann findet man DSCH irgendwo versteckt. Und das ist kein Zufall. Es ist fast wie ein Osterei. Aber dieses Mal habe ich beschlossen, es zum eigentlichen Thema der Komposition zu machen.

Welche anderen Komponisten sind Teil Ihrer musikalischen DNA?

In Bezug auf Orchesterwerke bin ich definitiv vom frühen 20. Jahrhundert inspiriert: Prokofjew, Schostakowitsch, Bartók, Strawinsky… das sind die treibenden Kräfte für mich. Aber was das Schlagzeug betrifft, bin ich auch ein Kind der 70er- und 80er-Jahre: Steve Reich, Harry Partch, Lou Harrison, Terry Riley…

Was motiviert Sie, neben der Rock- und Filmmusik Konzertmusik zu schreiben?

Die Idee ist, mich selbst aus meiner Komfortzone herauszuholen. In harmonische und kontrapunktische Bereiche vorzudringen, die ich beim Film einfach nicht machen darf. Das ist eine Möglichkeit, mich selbst heraus- zufordern und frisch zu bleiben, denn nach 110 Filmmusiken kann man leicht auf Autopilot gehen, um einfach nur zu gefallen. Mein Ansatz könnte die Fans der Filmmusik ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen. Aber ich hoffe, dass ich ihnen genug Momente biete, in denen sie sich auch wohl- fühlen können. Ich bin immer präsent und authentisch, denn ich bin nicht darauf aus, zu beweisen, dass ich etwas ernst meine. Das ist das Letzte, woran ich denke. Denn ich bin immer gleichzeitig todernst und total unernst, bei allem, was ich tue, egal ob es ein Song ist oder was auch immer!

Das Programm mit Frank Strobel und dem MDR-Sinfonieorchester kombiniert Ihre Konzertmusik mit Ihrer Filmmusik. Was halten Sie von diesem hybriden Format?

Ich denke, dass es einen Weg gibt, beide Publikumsgruppen zusammenzu- bringen. Und ich schätze es auch, dass einige weniger bekannte Stücke im Programm integriert sind, wie The Wolfman, eine Filmmusik, die ich sehr mag. Es ist der Versuch, zwei Welten zu verbinden. In den Konzertstücken wird das Filmmusikpublikum keine musikalische Reminiszenzen an einen Lieblingsfilm heraushören, aber hoffentlich wird es sich trotzdem für diese Musik interessieren. Sie ermöglicht sozusagen eine „echte“ Konzertsaalerfahrung, anstatt einfach nur Filmmusik in einem Konzertsaal zu hören.

Los Angeles, 6. Juli 2022
Fernando Carmena ist Kreativdirektor der Europäischen FilmPhilharmonie – EFPI – GmbH

Danke an Melissa Karaban, Lisa Angel und Tim Brooke.